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Der nationale Wohlstand und der Wert des Bodens

Gewöhnlich wird Reichtum von Menschen, Unternehmen oder Staaten anhand des Sach- und Finanzvermögens gemessen. Dieses wird vor allem durch Investitionen aufgebaut: Ein Teil des Einkommens wird nicht konsumiert, sondern investiert, um künftig mehr Produktion zu ermöglichen. Damit steht Vermögen in engem Zusammenhang zur Produktion, die wir übergreifend mit dem Brutto-Inlandsprodukt (BIP) messen. Weil das BIP deutlich einfacher zu messen ist als das Vermögen, ist das BIP schlechthin „die“ Kennzahl für ökonomische Leistungsfähigkeit und Wohlstand.

 

Ein Problem bei dieser Messung ist jedoch die Vernachlässigung der Natur. Dabei kennt die Volkswirtschaftslehre schon lange Konzepte zur Messung von Naturkapital. Die Grundidee dabei ist: Der ökonomische Wert der Natur liegt in ihrem Beitrag zum menschlichen Wohlergehen. Ein Teil davon ist in natürlichen Ressourcen bereits „eingepreist“: nämlich jener Teil, für den es eine Nachfrage durch Unternehmen und Konsumenten gibt. Der Kaufpreis eines Hektar Ackerbodens beträgt in Deutschland durchschnittlich 38.000 Euro. [1] Diese Zahlungsbereitschaft wird maßgeblich durch den finanziellen Ertrag bestimmt, den jemand durch die Bewirtschaftung des Bodens abzüglich der Produktionskosten erwartet. Ist der Boden sehr fruchtbar, die klimatischen Bedingungen günstig, die Bewirtschaftung einfach, so lassen sich besonders hohe Erträge und damit Einnahmen erzielen. Ein karger Boden mit starker Hanglage und schlechtem Klima ist weniger wert.

 

Allerdings fehlt bei dieser auf den Handelswert ausgerichteten Betrachtung ein bedeutender Anteil des gesellschaftlichen Wertes des Bodens. Boden ist Lebensraum für (Wild-)Tiere, ein wichtiges Element für den Wasserkreislauf, ein ästhetisches Kulturgut, welches das Landschaftsbild prägt und damit in manchen Regionen für den Tourismus wichtig ist. Insbesondere ist Boden aber auch ein Speicher von Kohlenstoff: Global sind über 6000 Gigatonnen CO2 in organischen Böden gebunden [2] – ihre Freisetzung würde die globale Temperatur um weitere 3 Grad Celsius erhöhen. All diese Aspekte sind in der üblichen Marktbewertung des Bodens ausgeblendet, weil für solche Aspekte ja niemand eine Prämie zu zahlen bereit ist – es handelt sich schließlich um öffentliche Güter, von denen viele Menschen einen Nutzen haben, die aber dafür nicht einzeln zu Kasse gebeten werden können.

 

Der gesellschaftliche Wert eines Bodengrundstücks ist also viel höher als der Preis, der sich beim Verkauf erzielen lässt und der in den üblichen betrieblichen wie auch volkswirtschaftlichen Vermögensrechnungen verwendet wird. Der Wert der Natur wird systematisch unterschätzt. Es braucht eine Korrektur der Marktpreise, um den „wahren“ Wert natürlicher Ressourcen darzustellen. Diese Korrektur ist aus zwei Gründen wichtig. Erstens zum korrekten Erfassen des gesellschaftlichem Gesamtvermögens: Wenn wir da als Gemeinwesen im Nebel tappen, können wir weder beurteilen, ob es sich über die Zeit vermehrt oder vermindert, noch wissen wir, ob insbesondere das Naturkapitel auch für zukünftige Generationen im ausreichenden Umfang zur Verfügung steht. Und zweitens ist die Korrektur wichtig zum Setzen der richtigen Anreize: Nur wenn wir auch die gesellschaftlichen Werte und Kosten auf die am Markt Handelnden „überwälzen“, werden diese in ihren Entscheidungen berücksichtigen, wie sich ihr Wirtschaften auf den Erhalt des Naturkapitals auswirkt. Bei korrektem Einpreisen des gesellschaftlichen Wertes werden aus Eigeninteresse der Erhalt und die Vermehrung von Naturkapital gestärkt.

 

Naturkapital Boden und Bodenkohlenstoff

 

Im Folgenden veranschaulichen wir diese Überlegungen anhand der Rolle des Bodenkohlenstoffs. Zentrale Kenngröße für die gesellschaftliche Bewertung des gebundenen – also nicht in die Atmosphäre emittierten – Kohlenstoffes sind die sogenannten Social Cost of Carbon: die zu erwartenden Klimaschäden durch eine zusätzlich ausgestoßene Tonne CO2. Zahlreiche ökonomische Arbeiten beschäftigen sich damit, diesen Wert zu ermitteln. Die Klimaschäden entstehen durch die vom CO2-Ausstoß ausgelöste Erwärmung. Auch wenn der Effekt einer einzelnen Tonne sehr klein ist, wird dadurch die Erderhitzung vorangetrieben. Und der Schaden kumuliert sich langfristig, denn es bleibt etwa ein Fünftel des emittierten CO2 mindestens für viele Jahrhunderte in der Atmosphäre. Die US-Umweltagentur EPA, auf deren Abschätzung wir uns hier stützen, legt auf Basis empirischer Studien einen Schaden von etwa 200 Euro je Tonne nahe. [3]

 

Der gesellschaftliche Wert des gebundenen Kohlenstoffs im Boden entspricht dem vermiedenen Schaden, der entstünde, wenn dieser Kohlstoff in die Atmosphäre freigesetzt wird. Die Natur, also die Photosynthese der Pflanzen, hat durch den Kohlenstoffkreislauf über Jahrtausende und Jahrmillionen Kohlenstoff aus der Atmosphäre geholt und sie in Böden eingelagert. Wenn die Entwässerung von Mooren oder die Degradierung von Böden den Kohlenstoff wieder freisetzt, schadet das der Menschheit durch die erhöhte Erwärmung – und der gesellschaftliche Wohlstand sinkt.



Abb 1. Links: Höhe des gebundenen Kohlstoffs in Deutschland pro Hektar Land. Rechts: Marktwert und gesellschaftlicher Wert von Boden in Deutschland. Eigene Darstellung. Berechnung und Quellen siehe Online-Spreadsheet https://tinyurl.com/bodenwert.

 

Der so verstandene verborgene Schatz in unseren Böden variiert je nach Landnutzungsform (Abb. 1 links). Den höchsten Gehalt an Bodenkohlenstoff haben Moore mit umgerechnet über 1800 Tonnen CO2 je Hektar. Der Wald (als Gesamtheit von Waldboden plus darauf befindliche Biomasse) in Deutschland bindet etwa 1000 Tonnen CO2 je Hektar, und landwirtschaftliche Nutzböden außerhalb von Mooren nur etwa 350 Tonnen auf Äckern und 500 Tonnen auf Dauergrünland, also Weideland. Dieser physikalische Wert kann nun mit den Social Costs of Carbon in Vermögenswerte umgerechnet werden (Abb. 1 rechts). Hier fällt vor allem der unglaublich hohe gesellschaftliche Wert des in Mooren gebunden Kohlenstoffs ins Auge: 370.000 Euro je Hektar. Auch der Vergleich der Balken ist aufschlussreich: Wird ein Moor entwässert und in gewöhnlichen Ackerboden umgewandelt, entsteht ein gesellschaftlicher Wertverlust von etwa 300.000 Euro je Hektar.

 

Zu denken geben auch die schwarzen Dreiecke in Abb. 1 rechts. Sie zeigen eine erhebliche Fehlbewertung des Wertes von Boden: Die Kaufpreise stellen nur einen Bruchteil des gesellschaftlichen Wertes dar – der hier ja immer noch konservativ definiert ist, eben als Summe aus Marktpreis und Wert des gebundenen Kohlenstoffs, weitere gesellschaftliche Wert-Komponenten wie die Rolle des Bodens für Artenvielfalt, Landschaftsbilder oder Wasserhaushalt bleiben unberücksichtigt.

 

Aus den Werten je nach Landnutzung lässt sich anhand der tatsächlichen Relationen der Flächennutzungen ein Gesamtvermögen hochrechnen. Demnach hat der in Mooren, landwirtschaftlichen Böden und Wäldern gebundene Kohlenstoff in Deutschland, umgerechnet etwa 20 Milliarden Tonnen CO2, einen Gesamtwert von 4 Billionen Euro. Das ist eine gewaltige Summe. Zum Vergleich: Das herkömmlich definierte Volksvermögen in Deutschland, ohne den Bodenkohlenstoff, wird auf insgesamt 25 Billionen Euro beziffert. [4]

  

Vom Sehen zum Handeln

 

Mit einem wie beschrieben geschärften Blick auf die Größenordnung können wir nun auch die Dramatik der laufenden Veränderung beziffern. Unsere landwirtschaftlichen Böden und Moore verlieren Jahr für Jahr gut 50 Millionen Tonnen CO2, was einem Wertverlust von etwa 10 Milliarden Euro entspricht. Durch eine verursachergerechte Bepreisung von Emissionen aus Landnutzung würde dieser Wertverlust sichtbar gemacht. Wer Land besitzt, hätte dann einen ökonomischen Anreiz, durch Änderungen der Bewirtschaftung den Verlust an Bodenkohlenstoff zumindest zu reduzieren. Die Bepreisung kann durch einen Handel mit Zertifikaten erfolgen: Sie müssen bei Entnahme von Bodenkohlenstoff gekauft werden, beim Aufbau von Bodenkohlenstoff werden sie hingegen generiert und können dann verkauft werden. Alternativ kann die Bepreisung auch erfolgen über die Kombination einer Abgabe auf Bodenemissionen und einer Subvention zur Erhöhung des Bodenkohlenstoffs. Jedenfalls wird, wenn sich die Preise für Bodenkohlenstoff an den gesellschaftlichen Kosten des Klimawandels orientieren, der umfassende gesellschaftliche Wert des Bodens bei Landnutzungsentscheidungen in den Blick genommen.

 

Notwendig ist dann auch eine soziale Flankierung. Wenn ein landwirtschaftlicher Betrieb plötzlich vollumfänglich für die Emissionen aus Acker- oder Weideland zahlen müsste, das er vor Jahren durch Trockenlegung eines Moores gewonnen hat, entsteht, ja über die Jahre eine erhebliche finanzielle Last, die den gängigen Marktwert des Bodens sogar um ein Vielfaches übersteigt. Ein Bepreisungssystem muss deshalb eine Kompensation für die Verluste beinhalten, die durch seine Einführung entstehen. Das geht über eine Zuteilung von Zertifikaten anhand eines Referenzszenarios, das sich an den historischen Emissionen orientiert – wie für Stromerzeuger und Industrie praktiziert bei der Einführung des europäischen Emissionshandels 2005. Auf diese Weise lassen sich Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit in Einklang bringen, ohne dass es in der Land- und Forstwirtschaft und beim Landbesitz allgemein unmittelbar erhebliche Vermögensverluste gibt.

 

Der Kohlenstoff ist ein verborgener Schatz im Boden. Es geht darum, dass er dort auch bleibt – der Boden also so bewirtschaftet wird, dass der Schatz sich nicht in Luft auflöst. Durch verursachergemäße Bepreisung anhand der gesellschaftlichen Kosten des CO2 wird das Naturkapital Bodenkohlenstoff als Teil des betrieblichen Vermögens sichtbar – und seine nachhaltige Bewahrung ermöglicht.

 


 

Matthias Kalkuhl ist Co-Leiter des MCC und Leiter der Arbeitsgruppe Wirtschaftswachstum und menschliche Entwicklung. Er ist zudem Professor für Klimawandel, Entwicklung und Wirtschaftswachstum an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die CO2-Bepreisung und Politimaßnahmen zur CO2-Entnahme sowie makroökonomische und verteilungspolitische Aspekte der Klimapolitik.

 

Quellen


[1] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2022): Daten und Fakten: Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft mit Fischerei und Wein- und Gartenbau, Verfügbar unter: [Online]https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/daten-fakten-2022.pdf, abgerufen am 02.09.2024

 

[2] Canadell, J.G et al. (2021): Global Carbon and other Biogeochemical Cycles and Feedbacks. In Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of

Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA, pp. 673–816, doi:10.1017/9781009157896.007, Verfügbar unter: [Online] https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/downloads/report/IPCC_AR6_WGI_Chapter05.pdf, abgerufen am 02.09.2024

 

[3] United States Environmental Protection Agency (2023): Report on the Social Cost of Greenhouse Gases: Estimates Incoprprating Recent Scientific Advances“, Verfügbar unter: [Online] https://www.epa.gov/environmental-economics/scghg abgerufen am 02.09.2024

 

[4] Statistisches Bundesamt (Destatis) (2023): Vermögensbilanz: Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanz, Verfügbar unter: [Online] https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Publikationen/Downloads-Vermoegensrechnung/vermoegensbilanzen-pdf-5816103.pdf?__blob=publicationFile, abgerufen am 02.09.2024

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