Der Umgang mit Land ist für Milliarden von Menschen im globalen Süden eine Frage des Lebens und Überlebens. Die in der Studie der Sachverständigengruppe zu ethischen Perspektiven für die globale Landnutzung bearbeiteten Fragen sind insbesondere für diese Menschen von hoher Relevanz. Die Problemanalyse ist auch in reicheren Ländern spürbar und nachvollziehbar. Doch was hier für manche abstrakt klingen mag, ist für Milliarden Menschen alltäglich. Für sie ist Land eine primäre Einkommensquelle und Ursprung der Nahrung, die zu oft fehlt. Gleichzeit sind die Folgen des globalen Umgangs mit Land in ärmeren Ländern deutlich zu spüren: Klimakrise, Biodiversitätsverlust und Ausbreitung der Wüsten.
Fehlerhafte Landnutzung trifft zuerst die Einkommensschwachen
Drei Faktoren legen die Bedeutung des Umgangs mit Land für den globalen Süden beispielhaft dar, wenn sie auch unvollständig sind:
Weltweit hungerten im Jahr 2023 etwa 733 Millionen Menschen. Das ist jede elfte Person. Auf dem afrikanischen Kontinent ist es sogar jede fünfte Person. Diese Zahl bezieht sich einzig auf die Kalorienaufnahme, die allein längst nicht ausreicht, ein gesundes und aktives Leben zu führen. Die Zahl der Menschen, die sich keine gesunde Ernährung leisten können, ist um das Vierfache höher. [1] Dabei werden weltweit fast 3000 Kilokalorien pro Tag und Person produziert [2] gegenüber einem Bedarf, der bei rund 2300 Kilokalorien liegt und auch bis zum Ende des Jahrhunderts nicht deutlich über 2500 steigen wird [3]. Es ist weltweit genug Nahrung vorhanden. Dass sie nicht ausreicht, hat nicht nur mit Lebensmittelverlusten, Konflikten und der Klimakrise zu tun. Es ist vor allem Folge der extremen Ungleichverteilung. Das Einkommen, das zwei von fünf Menschen weltweit fehlt, um sich eine gesunde Ernährung leisten zu können, entspricht nur rund 2%der globalen Wirtschaftsleistung [4,5,6]
In Niedrigeinkommensländern sind 59% der Beschäftigten in der Landwirtschaft aktiv, verglichen zu 3% in Ländern mit hohen Einkommen [7]. Für viele Haushalte, die von Armut betroffen oder bedroht sind, ist die Landwirtschaft eine existentielle Einkommensquelle. Leider reicht dieses Einkommen in vielen Fällen aber nicht aus, und extreme Armut ist trotz der fortschreitenden Urbanisierung in ländlichen Gebieten konzentriert [8].
Die Klimakrise trifft die Menschen im globalen Süden stärker als in reicheren Ländern, obwohl gerade der reiche Norden die Emissionen verursacht hat. Die reichsten 10% der Menschheit stießen über die letzten drei Jahrzehnte zusammen rund das Vierfache der Emissionen aus, welche die ärmsten 50% der Menschheit gemeinsam ausstießen [9]. Allein der Blick auf die Landwirtschaft zeigt, dass die höchsten Ernteverluste in tropischen Breiten erwartet werden [10]. Hinzu kommt eine Vielzahl anderer Schäden und Bedrohungen.
Die Landnutzungswende braucht eine klare Ethik
Die Studie der Sachverständigengruppe buchstabiert nicht nur die Folgen der heutigen Landnutzung aus, sondern auch die Notwendigkeit einer Ethik, die den Wandel hin zu einem guten Leben für alle in den Blick nimmt. Eine solche Ethik ist entscheidend, denn ein falsches Verständnis von Wandel kann einerseits Widerstände erzeugen, aber andererseits auch Ungerechtigkeiten verstärken. Eine Ethik auf Basis von Menschenrechten und Christlicher Soziallehre kann Qualitätscheck für konkrete Politikvorschläge werden, damit jeder Mensch unabhängig von seiner Person geachtet und auch der Eigenwert der Schöpfung respektiert wird.
Falsche Lösungen zu Lasten der Ärmsten und ihrer Ernährung verhindern
Reiche Länder, die von heutigen und historischen Emissionen profitieren, sind in der Verantwortung, die Kosten des Wandels vorrangig zu tragen. Diese Kosten dürfen nicht – mehr oder weniger versteckt – auf Ärmere übertragen werden. In seiner Enzyklika „Laudato si‘ – Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ formuliert Papst Franziskus: „Einige der Strategien für den niedrigen Ausstoß umweltschädlicher Gase streben die Internationalisierung der Umweltkosten an, was mit der Gefahr verbunden ist, dass den Ländern, die über weniger Mittel verfügen, schwerwiegende Verpflichtungen zur Reduzierung der Emissionen aufgebürdet werden, die denen der am stärksten industrialisierten Länder vergleichbar sind.“ Dabei hebt er besonders die Gefahr des Zertifikatehandels hervor, denn „[d]ieses System scheint eine schnelle und einfache Lösung zu sein, die den Anschein eines gewissen Umweltengagements besitzt, jedoch in keiner Weise eine radikale Veränderung mit sich bringt, die den Umständen gewachsen ist.“ [11] Gemeint ist der Ausgleich von Emissionen aus beispielsweise Kohlekraftwerken mit Klimaschutzinvestitionen in Ländern des globalen Südens für erneuerbare Energie oder klimafreundliche Landnutzung. Auch wenn der Zertifikatehandel in der Theorie unter bisher fehlenden hohen sozial-ökologischen Standards und mit scharfen Sanktionsmechanismen Effizienzvorteile bieten könnte, besteht im internationalen Handel landbasierter Zertifikate der Fehlanreiz, Zertifikate dort zu kaufen, wo die Armut der Menschen und fehlende Regulierung Land „billig“ machen. Die menschenrechtlichen Folgen sind fatal.
Beispiel Nordkenia: Falsche Lösungen verstärken die Probleme
Ein Beispiel liefert die Situation von Hirtenvölkern im Norden Kenias. Das weiträumige, gemeinschaftlich genutzte Land der Hirten ist besonders stark von unzureichenden Landrechten und Landraub betroffen. Maßnahmen, die den Klimawandel und Artenschwund (angeblich) bekämpfen sollen, erhöhen den Druck auf diese Gebiete. Ein Beispiel sind in den Territorien einheimischer Gemeinschaften Nordkenias eingerichtete Naturschutzgebiete, die durch die Sperrung großer Teilgebiete Biodiversität schützen sollen und durch die Abkehr vom traditionellen Weidemanagement Kohlenstoff im Boden binden sollen. Die Organisatoren dieser Maßnahmen gewinnen Gelder aus staatlichen Förderungen, Tourismuseinnahmen und dem Handel mit Zertifikaten für angeblich gespeicherten Kohlenstoff. Die Menschen in den Gebieten jedoch klagen über eine fehlende Beteiligung an den Entscheidungen über ihr Land und schwerste Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Vertreibungen und Mord [12]. Während fraglich bleibt, ob die Projekte wirklich zusätzliche Emissionen binden [13], kauften große Unternehmen die Zertifikate, um ihre hohen Emissionen öffentlich verteidigen und strengeren Regulierungen entgegenzuwirken zu können.
Bei einer Reise mit Misereor Partnern durch die Region wurde immer wieder beklagt, wie neue Zäune der Projekte und anderer Landdiebstähle traditionelle Routen zu Weiden und Wasser zerschnitten. In der akuten Dürrekrise konnten die Herden nicht mehr die rettenden Wasserquellen und Weiden erreichen. Tiere verendeten, Menschen wurden ihrer Lebensgrundlage beraubt und hungerten. In der Dürrekrise verstärkte der vorgebliche Kampf gegen die Klimakrise ihre Folgen.
Gute Lösungen nehmen Menschen und ihre Rechte ernst
Die Lehre der Projektpartner in der Region war keineswegs, den Kampf gegen die Erderhitzung und dessen Folgen in Frage zu stellen. Vielmehr war die Frage, wie Lösungen gemeinsam mit den Bewohnern der Region umgesetzt werden sollten. Kolportierte Gegensätze wie indigene Kultur und Biodiversitätsschutz wurden aufgelöst. Das laufende Misereor-Projekt baut dazu auf die Stärkung der Rechte der Gemeinschaften und die Beteiligung der lokalen Bevölkerung an den Lösungen: Landrechte werden gesichert, damit sie schwerer durch die Korruption einzelner zu unterwandern sind; Das traditionelle Weidemanagement wird revitalisiert, um Überweidung zu verhindern und besser mit den Veränderungen umzugehen; Landkomitees steuern die gemeinsame Arbeit gegen Erosion und invasive Pflanzen, die das Weideland (und den darin gebundenen Kohlenstoff) zu zerstören drohen; Wasserkomitees erhalten Wasserquellen und ermöglichen damit eine bessere Verteilung der Beweidung, sowie das Überleben der Herden.
Der Vorteil dieses Ansatzes ist nicht nur der erhoffte bessere Schutz des Landes und der Menschen. Es gibt auch große Anerkennung aus den lokalen Gemeinschaften und der Politik dafür, auf lokalem Wissen und lokaler Kultur aufzubauen.
Kurzgesagt nimmt die Ethik einer gerechten Landwende die Menschen und ihre Rechte ernst und stärkt globale Gerechtigkeit, statt neue Verletzungen zu schaffen. In den Worten des lokalen Partners geht es um „Just Transition“- einen gerechten Wandel.
Lutz Depenbusch ist Referent für Landwirtschaft und Ernährung bei Misereor und befasst sich unter anderem mit der Agrarökologischen Transformation unserer Ernährungssysteme. Mit einem Doktortitel in Entwicklungsökonomie hat er internationale Erfahrungen in der Agrarforschung in Ländern wie Bangladesch und Kenia gesammelt.
Hier erfahren Sie mehr zum aktuellen Projekt der Sachverständigengruppe Weltwirtschaft und Sozialethik!
Bibliographie
[1]FAO, IFAD, UNICEF, WFP and WHO. 2024. The State of Food Security and Nutrition in the World 2024 – Financing to end hunger, food insecurity and malnutrition in all its forms. Rome.
[2]FAO. 2024. Food balances. Letzter Zugriff 27.08.2024. https://www.fao.org/faostat/en/#data/FBS.”
[3]Depenbusch,L., Klasen,S. 2019. The effect of bigger human bodies on the future global calorie requirements. PLOS ONE 14(12): e0223188. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0223188
[4]Misereor. 2022. Indigenous crops in West Africa: Opportunities for plant breeding to advance agroecological transitions
[5]Misereor. 2023. Herausforderung Hunger: Jahresheft Welternährung 2023/24. https://www.misereor.de/fileadmin/user_upload/Infothek/herausforderung-hunger-jahresheft-weltern%C3%A4hrung-2023-24.pdf
[6]Misereor. 2023. Towards legal recognition of peasant seed systems in Africa[7]ILO. 2024. “ILO modelled estimates database” ILOSTAT. ilostat.ilo.org/data; Letzter Zugriff 27.08.2024 via https://data.worldbank.org/indicator/SL.AGR.EMPL.ZS?locations=XO-XM-XD
[8]Nakamura et al. 2023. Where Is Poverty Concentrated? New Evidence Based on Internationally Consistent Urban and Poverty Measurements. World Bank Policy Research Working Paper 10620
[9]Chancel, L. 2022. Global carbon inequality over 1990–2019. Nature Sustainability 5, 931–938. https://doi.org/10.1038/s41893-022-00955-z
[10]Jägermeyr et al. 2021. Climate impacts on global agriculture emerge earlier in new generation of climate and crop models. Nat Food 2, 873–885. https://doi.org/10.1038/s43016-021-00400-y
[11]Papst Franziskus. 2015. Laudato Si’: Über die Sorge für das gemeinsame Haus, S.73[12]Oakland Institute. 2021.Stealth Game; “Community” Conservancies Devastate Land & Lives in Northern Kenya
[13]International. 2023. Blood Carbon: how a carbon offset scheme makes millions from Indigenous land in Northern Kenya
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