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Im Gespräch mit Prof. Wallacher über die Bausteine einer globalen Landnutzungswende

In der aktuellen Studie der Sachverständigengruppe Weltwirtschaft und Sozialethik stellen die Sachverständigen die Kernprobleme der aktuellen Praxis der Landnutzung dar. Sie greifen die vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung  (WBGU) empfohlenen “Mehrgewinnstrategien” auf, die ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Welternährung, für effizienteren Klimaschutz und Erhalt der Artenvielfalt darstellen. Damit diese Formen einer “intelligenteren Mehrfachnutzung von Land” gelingen können, braucht es aber auch ein besseres Verständnis von Boden als Gemeingut und einen daran anschließenden gemeinwohlorientieren Effizienz-Begriff. Beides kann nur im Rahmen eines zeitgemäßen Freiheitsverständnisses realisiert und stabilisiert werden.


Prof. Johannes Wallacher erläutert einige zentralen Thesen der aktuellen Studie:



Eine globale Landnutzungswende braucht Mehrgewinnstrategien

Die Studie erörtert zunächst welche globale Schlüsselfunktion eine Landnutzungswende einnimmt. Eine gemeinwohlorientierte Landnutzungswende muss laut der Sachverständigen auf Mehrgewinnstrategien setzen. Diese zielen auf intelligentere Kooperationsweisen und gerechtere Strukturen, mittels derer die Bäuerinnen und Bauern, Verbraucherinnen und Verbraucher in Nord und Süd und die von ihnen genutzten Ökosysteme allesamt profitieren können. Dahinter steht das Ziel einer breiteren “Gemeinwohleffizienz”, die über bloße Flächeneffizienz und betriebswirtschaftliche Effizienz hinausgeht; dies bedeutet zwar stellenweise auch Verzicht (auf Praktiken, die dem einzelnen nutzen, doch allen anderen umso mehr schaden), doch in erster Linie für breit gestreute Wohlstandsgewinne durch einen weit effizienteren (da bewussteren) Gebrauch von Gemeingütern. Neue Mehrgewinnstrategien scheitern aktuell jedoch meist nicht an der technischen Machbarkeit, sondern an unterschiedlichen Zuständigkeiten und fehlenden Standards für eine „gemeinwohlorientierte Effizienz“.


Boden ist ein Gemeingut

Die Sachverständigen sprechen sich dafür aus, Boden nicht als Gebrauchsgegenstand, sondern als Naturkapital zu begreifen: Landwirte sind Angehörige eines Berufsstands, der wie kein zweiter das Gemeingut Boden pflegt, seinen Wert steigern oder verringern kann. Dafür verdienen sie Anerkennung und Unterstützung, was sich auch in der finanziellen Honorierung ihres Beitrags zum Naturkapital widerspiegeln sollte. So würden wertvolle Dienstleistungen wie die Sorge für das Grundwasser oder Humusaufbau für die Speicherung von CO2 nicht länger nur Kostenfaktoren für einzelne Landwirte darstellen, sondern viel stärker in deren Eigeninteresse liegen. Durch die angemessene Berücksichtigung von Naturkapital würden viele Millionen Menschen in aller Welt, die ihren Lebensunterhalt durch die rücksichtsvolle Nutzung von Äckern, Weiden, Wäldern und Gewässern bestreiten, von Bittstellern zu anerkannten Partnern im Kampf für mehr Ernährungssicherheit, Klimaschutz und den Erhalt der Biodiversität. Die Studie macht dabei deutlich, dass es nicht um die völlige Monetarisierung von Natur- und Ressourcenschutz geht, sondern dafür zu sorgen, dass die ökonomische und die ökologische Logik auf Erzeuger- und Konsumentenseite nicht immer weiter auseinanderklaffen darf.


Für ein gemeinwohlorientiertes Freiheitsverständnis

Darüberhinausgehend argumentieren die Sachverständigen mit dem Anspruch der christlichen Soziallehre und dem Grundsatz der gemeinsamen Bestimmung der Erdengüter für alle Menschen für ein gemeinwohlorientiertes Nutzungsrecht der Ressource Boden. Diese Begründung begrenzt zugleich persönliche Eigentumsrechte im Sinne einer gemeinwohlorientierten Bestimmung des Besitzes an den Erdengütern aller und steht damit grenzenloser individueller Freiheit und Eigentumsrechten insbesondere am Gemeingut Boden entgegen.


Entlang einer der zentralen Einsichten der Aufklärung ist Freiheit zudem nicht einfach die Abwesenheit von Zwang oder Verboten, sondern auch als „Freiheit zu …“ zu verstehen, als gewährende und ermöglichende Freiheit zugunsten derer, deren Freiheitsrechte nicht, noch nicht oder nicht mehr gesichert sind. Persönliche Freiheit ist damit niemals unbegrenzt, sondern endet dort, wo die Freiheit des bzw. der anderen beginnt. Aus diesem Grund war Grundbesitz in weiten Teilen Europas schon immer gewissen Grenzen unterworfen: so besitzen Landwirte beispielsweise das agrarische Nutzungsrecht für die oberen Bodenschichten, nicht aber die darunterliegenden Kohleflöze – und die Besitzer eines Bannwaldes hatte niemals das Recht, durch dessen Abholzung angrenzende Siedlungen oder Gewässer zu gefährden - so die Sachverständigengruppe in Kapitel 3 der Studie.

Wenn man den universalen Charakter der gleichen Freiheitsrechte aller ernst nimmt, dann schließt dies auch eine Verantwortung gegenüber denen ein, die von unseren Handlungen in fernen Regionen betroffen sind – konkret etwa ärmere Menschen in den Regionen, die schon heute besonders unter den Folgen des Klimawandels, Wasserknappheit oder dem Verlust der Artenvielfalt leiden.


Vor diesem Hintergrund benennt die aktuelle Studie wiederkehrende Herausforderungen und Hindernisse von Transformationsprozessen in einer erfolgreichen Landnutzungswende und stellt ethische Leitlinien für den Umgang mit Interessenskonflikten und konkrete Reformvorschläge einer globale Landnutzungswende dar.




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