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Verzweiflung und Zuversicht der Zeitenwendenden 

Ich bin verzweifelt. Sie nicht? Ich frage mich: Was zur Hölle haben wir getan, um so düstere Zukunftsaussichten zu haben? Die Herausforderungen unserer Zeit sind ohne Aufzählung bekannt. Sie führen zu Überforderung, zur Erschöpfung und zur Verzweiflung. Zum ersten Mal stehen wir nicht nur vor der Frage, wie wir auf diesem Planeten gemeinsam leben wollen, sondern wie wir auf diesem Planeten leben können, ohne unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Der blaue Planet, unsere gemeinsame Erde, wird sich verändern, ob mit oder ohne uns. Doch noch nie in der Geschichte der Menschheit waren wir an einem Punkt, an dem wir die Folgen unseres Handelns besser absehen konnten. Genau davon handeln die folgenden Zeilen: von einer Welt im Epochenwechsel, über den ohne Frustration und Verzweiflung nicht zu sprechen ist und über die Menschen in dieser Zeit, auf die man mit Zuversicht, aus der Hoffnung erwächst, blicken kann. 

 

2020 überschritten wir die Schwelle von einem Jahrzehnt - wenn nicht sogar von einigen Jahrzehnten - in denen alles möglich schien, endgültig hin zu einer Zeit, in welcher der Mensch sich selbst und seine Lebensweise so radikal infrage gestellt hat, wie nie zuvor. Der Begriff der ‚Zeitenwende‘ ist mit dem Datum des 24. Februar 2022 verbunden. Doch wird er hier weitergefasst. Es ist der Begriff, der die Herausforderungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf den Punkt bringt, der den Sprung ins Anthropozän symbolisiert. Der Begriff ‚Zeitenwende‘ lässt einen die vielen Entwicklungen der letzten Jahre intuitiv verstehen. Wende ist ein gängiger Topos in unseren Tagen. Es gibt die Energiewende, die Verkehrswende, die Wärmewende, die Bauwende, eigentlich ist es schon fast herausfordernd, zurzeit etwas nicht zur Wende oder immerhin zur Krise zu erklären. Die Welt steht im Licht der Zeitenwende. Der 24. Februar 2022 ist nicht der eintägige Wendepunkt der Weltgeschichte, er ist dessen Konsequenz. Dabei ist die Herausforderung des Anthropozän unser Verhältnis zu unserem Leben auf dieser Erde. Es ist nicht die Frage nach dem Sinn des Lebens oder dem Sinn der Menschheit, das wäre zu trivial. Aber es ist die Frage, wie wir leben wollen. Damit ist eine Aufgabe verbunden, denn in der säkularisierten, ausdifferenzierten Welt, in der es heißt, ‚everything is possible‘, ist eben wirklich alles möglich. Und weil alles möglich ist, muss diese Verheißung als Lüge dekonstruiert werden. Denn es ist weder zu spät, noch fehlt es an Wissen, den Dingen oder den Menschen, die wir dazu brauchen, um diesen epochalen Wechsel gestalten zu können. Doch das Zeitfenster schließt sich und jeden Tag aufs Neue beginnt unser ‚Paradies‘ als eines auf dieser Welt, in der wir unser ‚Miteinander‘ ganz praktisch im ‚Tun‘ in die Hände nehmen, oder eines, für das wir glauben müssen. 

 

Die Generation Z oder auch die Post-Millennials (in etwa geb. zw. 1995 und 2010), deren Klassifizierung, wie die aller Generationen immer fließend und unbefriedigend ausfallen wird, entwickelt ein hervorzuhebendes Verhältnis zu ihrer Zeit. Mit der Perspektive der Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlage aufgrund der menschengemachten Klimakatastrophe ergibt sich für viele junge Menschen in der Gegenwart die Orientierung an sozialen Beziehungen und einem gesunden Lebensstil sowie Sicherheit, verbunden mit einem gleichzeitigen Einsatz für ihre Belange. Die ersten, vergleichsweise ruhigen Lebensjahre der Generation Z in Deutschland vor der Pandemie und dem Krieg in Europa werden künftig eine Utopie, ein Ziel für alle sein. Die vermeintlich spießbürgerliche Rückkehr zu ‚alten‘ Werten, ein Besinnen auf Familie und Freunde sowie den Wert der Freizeit, kann man als erste Schwerpunktsetzung dieser Generation verstehen. Das Leistungsdenken und das Streben nach einer Karriere werden hinterfragt. Der Status quo erscheint vermeintlich gefährlich. Doch genau das Gegenteil ist der Fall, es ist der richtige Weg einer Generation im Spannungsfeld zwischen der Suche nach Sicherheit und dem Anspruch die Welt zu verändern. 

 

Es wäre zu einfach die Gen Z zur Generation Z(eitenwende) zu erklären und es dabei zu belassen. Denn am Ende wäre es ungerecht den Menschen gegenüber, die zusammen mit ihnen in der Verzweiflung Hoffnung erkennen. Sie fühlen die Verzweiflung und die Leidenschaft für die Hoffnung für diesen einen blauen Planenten und die Spezies Mensch, die diesen bevölkert. Aus allen Generationen bildet sich eine unseren Epochenwechsel bestimmende Gruppe der Zeitenwendenden. Eine Gruppe von Menschen, die bereit ist für eine neue Ära. 

 

Dass die Klimakatastrophe unser Leben nicht verändert, ist eine Lüge. Dass wir uns entscheiden können, wie tiefgreifend diese Veränderung ist, ist eine Lüge. Dass wir entscheiden können, ob es für uns einfach oder schwer wird, ist eine Lüge. Wir haben keine Wahl und desto länger wir warten, umso schlimmer sind die Konsequenzen. Ist das schön? Nein. Wird es leicht? Nein. Wird es wehtun? Ja. Die Zeitenwende ist da. Die Zeitenwendenden werden sich ihrer erhobenen Hauptes stellen. Hörbar ruft über alle Generationen hinweg die Generation Z „Wir sind überfordert! Wir sind verzweifelt!“ Was bringt uns die Verzweiflung? In der Verzweiflung zeigt sich unsere Leidenschaft. Verzweiflung ist Leidenschaft! Und Leidenschaft ist immer auch Hoffnung. Wir – Zeitenwendenden – sind auf dem Sprung. In leidenschaftlicher Bereitschaft auf die Möglichkeit eines lebenswerten Lebens auf dem blauen Planeten. Wir verharren so lange in der Bedrängnis des Wissens und in der Mühseligkeit des Unwissens, auf die Zeichen der Zeitenwende und der großen Möglichkeiten des menschlichen Lebens im Miteinander. Die Perspektive ist ein Morgen. Die Zuversicht ist heute in uns. 


 

Benedikt Breil übt sein politisches und kreatives Denken in seinem Masterstudium an der Hochschule für Philosophie aus und setzt es praktisch in Form seines Modelabels Democrazy Studio und als aktiver Sozialdemokrat fort.

 



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